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Eine Kultur anlegen
Von Karen Vandenberg, 2002
"Die Bäume planen in der Zeit des Winters die Stellung ihrer
Blätter, damit der Wind die Melodien hindurch blasen kann." Gerda
Steiner(1)
Für Jörg Lenzlinger und Gerda Steiner ist künstlerische Praxis
Interaktion und soziales Ereignis. Unter ihrer Regie löst sich jede
Dinghaftigkeit unweigerlich in Prozesse auf. Eine Dichotomie von Ding
und Handlung, Materie und Energie existiert nicht. Dabei arbeitet das
Schweizer Künstlerduo auf den ersten Blick vorwiegend in traditionellen
Medien und nicht allein in einer medialen oder performativen Praxis:
Ihre Arbeiten bestehen überwiegend aus Installationen und Malerei;
Installationen allerdings, die mit Salzen, Kristallisations- und
Wachstumsprozessen operieren. Leuchtend farbige Kristalle wuchern hier
aus Kunstblumen und Gefäßen, vertrocknete Wurzeln wirren von der Decke
herab, Schläuche, Zweige, Kabel und Drähte spinnen ein Netz durch den
Raum, Plastikblüten, Lämpchen und Kleinode des Kitschdekors setzen
Inseln dazwischen. In den Installationen von Jörg Lenzlinger und Gerda
Steiner wird gezüchtet, lassen die Künstler Salzlösungen plätschern und
Keimlinge sprießen. Vernetzt, schwerelos und verlockend giftig
präsentieren sich artifiziell entlockte Naturprozesse. Die
Installationen sind ein seltsamer Mix aus Laboratorium und Garten#Abb.
43#, in dem sich jede vermeintlich erstarrte Substanz als Genese oder
Ereignis, als energetische Möglichkeit erweist.
Umgeben wird das ganze oftmals von der organische Formen und
Bewegungen erinnernden Malerei von Gerda Steiner, die mit einem poppigen
Flower-Power-Image spielt. In der Ausstellung “Bleibe” in der Berliner
Akademie der Künste etwa vollzog das Lineament ihrer monumentalen
Wandmalerei die Bewegung von Fliegenflügen nach.
Damit der Besucher in das poetisch wuchernde Leben einschwingen
kann und auch seinen eigenen Standpunkt in Bewegung hält, werden
Wasserbetten zum Niederlegen oder Schaukeln fürs Schwebegefühl geboten.
Lenzlinger und Steiner agieren wie Gärtner, Bastler und Neo-Alchimisten,
die uns das Paradies verheißen, indem sie liebevoll und geduldig mit
Schnüren und Fäden zusammen schustern, was sie vor Ort vorfinden:
Wegwerfgeschirr, Kochsalz, Kunstdünger, Plastikflaschen und
Joghurtbecher, Schüsseln, Folien, Eimer, Pflanzen, Filzstifte und
Kunstblumen. Das üppige Wuchern, das sie mit diesem schnöden Kram
aufziehen, macht die nie versiegenden Eigenenergien der Natur sichtbar.
Auch die alte Salami ist mit ein wenig Nachhilfe plötzlich zum Fortleben
wild entschlossen; anderswo bildet giftgrün gefärbter Harnstoff
abenteuerliche Kristallblumen. Durch das billige und gebastelte ihrer
Settings spielen Lenzlinger und Steiner mit einer Unschuld des Sehens,
in der urtümliche Energien, von Stoffwechsel, Ablagerungs-,
Verfallsprozessen ohne falsche Romantik oder ökologiekritische
Ideologien zur Erscheinung gebracht werden. Es ist der in der Materie
selbst veranlagte Formwillen, den sie durch die Komposition aus
Kristallen, Pflanzen und Artefakten exponieren; die Kristallformationen
erscheinen als Archetypen und Vorläufer der Pflanzen- und Dingwelt, und
zugleich wirken sie durch Verfärbung und Kanalisierung selbst
artifiziell.
Was die beiden Künstler betreiben, ist eine Tätigkeit des
Kultivierens - in einem ganz basalen Sinne des Wortes. Mit einem seltsam
"entwaffnenden Optimismus"(2) legen sie ihre Kulturen an, entwerfen
utopische Lufthänge, die immer gleichermaßen Fantasiegärten wie
kunterbunte alchemistische Laboratorien sind, und damit nicht einer
gewissen Ironie, zuweilen sogar auch einer suspekten und ungesunden
Komponente entbehren.
Jörg Lenzlinger und Gerda Steiner beziehen ihr Formenrepertoire
dabei ganz wesentlich aus ihren ausgiebigen Reisen durch alle
Kontinente. Sie sind jedoch nicht wie Jet-Set-Künstler im Auftrage einer
gebuchten Ausstellung unterwegs, sondern reisen auf dem Bananendampfer,
zu Fuß, mit dem Rucksack und mit alten Autos und sind zu Hause in
billigen Unterkünften. Sie sind glückliche Entdeckungsreisende, denen es
gut zupaß kommt, dass vor ihnen schon jemand da war.
Wie sie unterwegs sind, zeigt etwa ihre Arbeit “Lift up” #Abb.
55-47#, die sie in den Jahren 1998-2000 realisierten. Auf Reisen durch
Indien, Nepal, Indonesien, mit dem Schiff in Griechenland, in Italien,
Singapore und Australien machten sie insgesamt 72 Fotografien von immer
dem selben Akt: Während Gerda Steiner Menschen in die Höhe hebt,
fotografiert Jörg Lenzlinger meist zufällige Reise-Bekanntschaften, egal
ob Kind, Mann oder Frau. Fast alle lachen in die Kamera: die zierlichen
indischen Männer, die sich von der großen, kräftigen Schweizerin
anheben lassen, genauso wie die verschleierte Frau oder der über zwei
Meter große Kapitän, den die Künstlerin dann doch nicht hoch bekommt.
Der absurde Ritus vollzieht sich nicht an touristischen Orten, sondern
im Lebensumfeld der Menschen, im Lagerraum eines Restaurants, in einer
Wüstenlandschaft, achtern auf dem Schiff, im Garten, in einer ärmlichen
Hütte, auf der Straße, vor der eigenen Haustür oder im kleinen
Blumenladen.
Das Ganze wirkt wie eine Dokumentation einer über alle
kulturellen Unterschiede hinweg möglichen, sehr direkten körperlichen
Interaktion. Das Ungewöhnliche an diesem erfundenen Ritus ist nicht nur,
dass es eine offenbar starke Frau ist, die hier “hebt”, ungewöhnlich
ist vor allem das außer Kraft setzen kultureller Vorurteile und mentaler
Grenzen durch eine rituell wiederholte Handlung; und zwar eine rituelle
Handlung ohne bekannte und festgelegte symbolische Konnotationen. Dass
Lenzlinger und Steiner mit dieser Aktion ganz grundsätzliche
Verhaltensmuster des Betriebssystem Kunst offenlegen, tangiert die
Beteiligten nicht weiter. Keiner der "Gehobenen" weiß wahrscheinlich so
recht, warum er oder sie sich darauf einlässt, aber amüsant scheint es
allemal. Deshalb liefern sie sich ” Gerda Steiner und ihrem seltsamen
Kunstansinnen aus. Man fragt sich, mit welchen Worten oder Gesten die
beiden die Leute wohl davon überzeugt haben mitzumachen, denn das
faszinierende an der Sache ist das gegenseitige Einverständnis, mit dem
diese artifizielle Praxis vollzogen wird. Der Sinn dieses Ritus’ besteht
denn auch allein darin, dass man sich auf ihn einlässt. Genau hierin
liegt seine Pointe. Und die offenbare Leichtigkeit dieses
Einverständnisses führt alle Fragen, alle Reflexionen, alle kulturellen
Unterschiede ad absurdum, ohne sie zu negieren.
Die Leichtigkeit, das Poppig-Bunte und irgendwie auch jenseits
der Kunstwelt Kompatible, ist in Lenzlingers und Steiners Arbeiten auf
überraschende Weise überzeugend. Zum Einen weil es nicht einer Naivität
oder der flüchtigen Euphorie der Spaßgesellschaft entspringt, sondern
einer ganz spezifischen sozialen Dimension, die allen Arbeiten ganz
wesentlich innewohnt: dem Prinzip der “freundschaftlichen
Verbindung”(3). Dies verkörpern die beiden sowohl untereinander, als
auch gegenüber dem Publikum und allen, mit denen sie etwas zusammen
unternehmen. Ihre Überzeugungskraft hängt aber auch eng mit einer dem
alltäglichen praktischen Tun entspringenden Sinngenerierung zusammen,
einer Vernunft körperlichen Handels, die sich die beiden zu nutze machen
und die “ihren Ursprung weder in den ‚Entscheidungen‘ der Vernunft als
bewußtes Kalkül” findet “noch in den Determinierungen durch Mechanismen,
die den Handelnden äußerlich oder übergeordnet wären”(4).
Es ist kein Zufall, dass gerade das einfache Kochsalz #Abb. 48#
zu einem ihrer wichtigsten Arbeitsmaterialien geworden ist. Eine tote,
kristalline Substanz, die doch in allem Leben enthalten ist und für alle
Lebewesen ganz unverzichtbar bleibt. Salz hat genau die sinnbildlichen
und metaphorischen Implikationen, die der Bildwelt von Lenzlinger und
Steiner entsprechen: es ist Symbol der Freundschaft wie auch Symbol des
Lebens und des Todes zugleich(5).
So wie Lift-up eine ritualisierte Geste der Verbundenheit ist,
so basieren auch ihre Installationen auf dem Prinzip der Zuwendung. Die
Kristalle bedürfen der gärtnerischen Pflege, sie sind nur vermeintlich
totes Material; tatsächlich bleiben sie in einem permanenten
Umbildungsprozess.
Nicht zuletzt das Rituelle, dessen letzten Sinn man nicht zu
ergründen vermag, dieses Rituelle, das aber durch den wiederholten
Vollzug Sinn produziert, der der kognitiven Legitimation nicht bedarf,
macht Lenzlingers und Steiners Arbeiten im Kontext von Echo´s Pool
interessant; im Kontext jener jüdischen Landfriedhöfe, die beinahe
ausschließlich durch verengende Interpretationen in heutige
Lebenszusammenhänge eingebunden scheinen, und über die, um der Pflicht
genüge zu tun, ab und zu der Rasenmäher kommt.
(1) In: Gerda Steiner, (Ausst. Kat.) Kunsthalle Basel, Basel 1998, o. pag
(2) Claudia Spinelli: Doyouwanneseemyblueberrys?, in: Kunst-Bulletin, Nr.3, 2001, S.22.
(3) Vgl. hierzu auch Claudia Spinelli: ebd. S.27.
(4) Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt 1987, S.85.
(5) Im Alten Testament kommt das Salz in ganz unterschiedlichen
Zusammenhängen vor. Zum einen wird es den Opfern beigegeben, (vgl. 3.
Mose 2,13 »Dagegen sollst du alle deine Speiseopfergaben mit Salz würzen
und sollst das Bundessalz deines Gottes nicht fehlen lassen in deinem
Speiseopfer; sondern zu allen deinen Opfergaben sollst du Salz
darbringen«). Es hat aber auch heilende Wirkung (2. Kön. 2,19ff.) und
wird als Zeichnen der Gastfreundschaft angeboten, indem man Brot und
Salz dar reicht. Aus dem Neuen Testament stammt der Ausdruck: Ihr seid
das Salz meines Lebens (Mt 5,13).
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