Too Early to Panic
Museum Tinguely Basel, 2018
Am Eingang hat der Besucher zwischen drei Türen zu wählen: „Too early to panic”, „Jetzt“ und „Too late to panic“.
Im “Jetzt” tritt
man ein in das Empfangsbüro des Schönheitssalons Institut de Beauté „Wabi Sabi“. Die Sekretärin ist mit ihren verwilderten
Fingernägeln beschäftigt und erläutert die diversen Angebote des Salons zur
Steigerung der Wahrnehmung der Schönheit: Der Tränensammler animiert zur Spende
einer Träne, welche nach kurzer Zeit ihre einmalige kristalline Pracht unter
dem Mikroskop entfaltet. Eine Schönheitsvirus-Schluckimpfung versetzt uns in
eine ekstatische Stimmung welche die Wahrnehmung der Schönheit beflügelt. Im Diagnoseraum
wird ein, in eine Muschel gesungenes, helles A der eigenen Stimme analysiert und
die ihrem Charakter entsprechende Blume auserkoren. Der orangene Raum mit dem
Vitamin C Brunnen lädt zur Pause ein. Seh-Übung und Summ-Übung massieren und stärken
die Augen und die Ohren. Wer es wagt, sich unter den hängenden Meteoriten zu
legen, erfährt eine Lockerung der Hirnströme. Und unter dem menschlichen
Ersatzteil-Mobile fühlt man sich wieder einmal so richtig als Ganzes.
Too early to panic:
Dieser Raum ist dem Unfertigen, dem Werdenden, dem Wuchernden und dem
Muskelspiel des Chaos gewidmet. Er ist eine grosse vielfältige Skizze über das,
was auf uns zukommen kann. Ein Tunnel aus Überlebensfolie und dürren Ästen führt
in ein Gebüsch. Es lockt zum Hineinkriechen und verweilen. Darin kann man dem Treiben
in der Ausstellung unbemerkt folgen, wird aber gleichzeitigt von den Passanten
draussen vor dem Museum beobachtet. Das Gebüsch und die feine in der Luft
hängende Vegetation geraten ins Schwanken, wenn die Fitnessmaschine benutzt
wird - ein Grossteil von dem, was wir mit unseren Bewegungen auslösen nehmen
wir meistens gar nicht wahr. Zusätzlich öffnen sich zur rechten und linken der
Maschine symmetrisch beide Kühltruhen und das Geschrei von Kühen, Schweinen,
Schafen, Hühnern – das, was eben normalerweise in so einer Kühltruhe lagert –
schreit heraus.
Der Torture-Garden schliesst uns in uns selbst ein: Wir stecken
in diesem Schrank, körperlich eingebettet in die Flora der Kunstpflanzen die uns
piksen, fest. Nur der Kopf schaut oben heraus und wir sind vollkommen abhängig
von einem Mitmenschen, der uns wieder herauslässt. Was geben wir nicht Alles,
um die Selbständigkeit zu verlieren.
Der Personal Trainer gibt nur 1 Sekunde Einblick in eine der
3 versteinerten Styropor-Kühlboxen. Vielleicht sind unsere Möglichkeit Etwas zu
erhaschen nur noch sehr kurz. Und wir werden sehr schnell und präzis reagieren
müssen. Oder die Schnelligkeit wird so schnell, das wir gar nicht mehr die Chance
haben das Ganze zu erfassen und nur noch einen Bruchteil begreifen können.
Und wie wird es wohl mit dem Wachstum weitergehen? Der mit
grossen Mengen fossiler Energie aus der Luft gewonnene Stickstoff zur
Produktion des Kunstdüngers steigt stetig weiter hoch auf der Gewinnerliste. Die
bunten Kunstdüngerkristalle wachsen prächtig in der trockenen Museumsluft.
Die Drahtseilkonstruktion an der Decke, an welcher die
Kristallwucherungen aufgehängt sind, ist eine klare geometrische Zeichnung.
Niemand bemerkt sie. Das Chaos unten hängt an der Ordnung oben.
Too late to panic: Der Durchgang durch den alten Geräteschuppen, worin die
vielen Schichten von Arbeit, gekoppelt mit den Jahreszeiten, gelagert und
gespeichert sind, versetzt uns sogleich in den leicht moderigen Duft der
Erinnerung. Und spätestens, nachdem die Türe mit einem Knall hinter uns ins
Schloss gefallen ist, sind wir da – angekommen. Jeder Tritt knarrt auf dem
groben Holzboden. Der dunkle, nur durch ein paar rote Glühbirnen leicht
erhellte Raum, nimmt uns gleich in seine Arme. Schielen wir um die Ecke,
empfängt uns der grosse tief dunkelblaue Raum. Die Zukunft liegt im Schrumpfen.
Die Samensammlungen sind der Berührungspunkt von gelebtem Leben und dem
möglichen kommenden Leben. Die Erinnerung bringt uns zurück an den Anfang. Der
Same ist Grosseltern und Enkelkinder zugleich.
Auflösungsprozesse, Zerfallprozesse, Aufessen, Wegtragen,
Verfliessen, Schiessen, Brennen, Tanzen, Kristallisieren. Die Pilze tanzen erst,
wenn wir ihnen näher kommen. Die Tropf-und Fliessbilder bringen uns in einen
Rhythmus von Ordnung, Dehnen, Atmen, Verbinden, Abstossen, Vereinen – das feine
Netz des Lebens. Die Objekte sind Reliquien, das was man vielleicht ausstellen
würde, wenn die beiden Künstler bereits verstorben wären. Das Doppelbild mit
der durchschossenen Schallplatte und dem verbrannten Brett sind ein
Augenzwinkern darüber. Der Punkt, der Schuss, das Loch, der Stern, der Same,
der Moment, der Knall, der Stromkontakt. Wer viel schiesst, trifft ab und zu
auch mal ins Schwarze. Die Sterne sind die Löcher im dunklen Tuch der Nacht.
Am Ende der Halle thronen die Knochenkronen auf samtroten
Kissen aus, harren in sich versunken und warten auf die nächste Gelegenheit,
spazieren getragen zu werden. Sie hatten während dem Totentanz-Markt unzählige stolze
Häupter geschmückt. Dem Schein und Sein ist dieser Raum gewidmet. Die primitive
Geldkeule des 21.Jh., die goldenen Absatzschuhe mit dem Vogelnest aus Musik-Tape-Band,
der im Kristall eingewachsene kleine rote Cowboy, die Cindarella-Plastikkutsche
welche die königlichen Regenwürmer ausfährt – samt Vorrat an Kürbiskernen.
Die heiratsfreudigen Thai-Frauen, bereits im weissen
Hochzeitskleid arrangiert, sind durch die grellen Klebpunkte zu Afrikanischen
Göttinnen mutiert. Die Black Beautys schauen sinnentleert aus dem Bild, da
Autos, Goldschmuck und Kleidung weggeklebt wurden. Es bleibt die Leere in der
Fülle. Ein Tanz aus farbigen Punkten, bevor wir nur noch Pixel sahen.
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Too Early to Panic
Museum Tinguely Basel, 2018
At the entrance the visitor has the choice of
three doors: “Too early to panic,” “Jetzt”
(Now), and “Too late to panic.”
Stepping through the door marked “Jetzt”(Now), visitors enter the reception
area of the beauty salon Institut de Beauté “Wabi Sabi.” The
secretary is preoccupied with her fingernails, which have grown out of control,
as she explains what the beauty salon has on offer to increase the perception
of beauty: The Tear Collector encourages visitors to donate a tear,
which is then placed under the microscope. There its unique crystalline beauty
becomes visible only a short while later. The Oral Beauty Virus Vaccination
places visitors in an ecstatic mood and heightens their perception of beauty.
In the Diagnostic Room the sound of an A, clearly sung into a conch, is
analyzed and a flower assigned to the voice in keeping with its character. The
orange room with its Vitamin C fountain invites visitors to take a break. In the next room, the visual exercises and
the humming exercises offered help strengthen eyes and ears. Those intrepid
enough to lie beneath the hanging meteorite will
enjoy the experience that comes from relaxing the brain waves, while those who
stand under the Mobile of Spare Human Parts will have the feeling of being
fully complete again
Too early to panic: This room is dedicated to everything that is incomplete, that is
in the process of becoming, that is in the process of proliferating as well as
to the chaotic play of muscles. It is a large and varied sketch of everything
that can be encountered. A tunnel made of survival
foil and dry branches lures visitors into the space under a bush, where
they can linger and watch the bustling activity in the exhibition space without
being noticed. At the same time, however, they are themselves watched by the
passers-by from outside the museum space. And whenever someone uses the fitness
equipment, the bush with all the delicate vegetation hanging midair begins to
sway—we are largely unaware of all the things that our movement sets in motion.
Moreover, the two deep freezers placed symmetrically left and right of the fitness
equipment emit the screams of cows, pigs, sheep, and chicken whenever their
doors open—that is, the sound of the animals whose meat is generally stored in
deep freezers.
The torture garden confines us within ourselves:
we become stuck inside a cupboard and physically embedded in a flora of
prickly, artificial flowers. All that protrudes over the top is our head,
rendering us fully dependent on our fellow visitor to release us. What would we
give to lose our independence.
The personal trainer only allows us a one second
glimpse into one of the three fossilized polystyrene cool boxes. Perhaps we
only have a very short time to see something and will need to react quickly and
precisely. Or possibly the brief moment becomes so short that we no longer have
the ability to grasp the entirety and can only understand a fraction of it.
So, how will growth continue? The nitrogen,
extracted from the air with the use of large quantities of fossil fuel and
required to produce artificial fertilizer, continues to climb on the list of
winners. The colorful crystals growing in the artificial fertilizer flourish in
the dry museum air.
The metal wire construction hanging from the
ceiling and supporting the crystal excrescence describes a distinct geometric
drawing. Nobody notices it. The chaos below hangs from the order above.
Too late to panic:
Crossing through the old tool shed, which
contains and stores numerous layers of work as well as the respective seasons,
the slightly musty smell of memories immediately surrounds us. And no sooner
does the door latch shut behind us then we arrive—we are there. Every footstep
causes the coarse wooden floor to creek. The dark room immediately embraces us,
the few red lightbulbs only dimly illuminating the space. And peeking around
the corner, we find ourselves welcomed by a large and very dark blue room. Shrinking
is the future. The seed collections form the point of contact between life lived and potential future life. Memories draw us back to the point of departure. The seed
is both grandparent and grandchild.
Processes of disintegration and decay,
ingesting, transporting, blending, shooting, burning, dancing, crystallizing.
The mushrooms only dance when we get close to them. The drip and stain pictures
draw us into a rhythm of order and expansion, of breathing, connecting,
repelling, and uniting—the delicate net of life. The objects are relicts,
things that people would exhibit only after both artists had died. The double
image with the shot-up phonographic record and the burnt wooden board is a wink
of the eye on the topic. The dot, the shot, the hole, the star, the seed, the
moment, the bang, the electric contact. If you shoot nonstop, you will, every
so often, hit the mark. The stars are the holes in the dark cloth of the night.
At the far end of the hall, crowns made of bones
rest enthroned on red velvet cushions, waiting for the next time they are taken
for a walk. During the Dance Macabre Fair they embellished many a proud head.
This room is dedicated to being and appearance. The crude 21st century money
whip, the gold-colored high heel shoes with the bird’s nests made of tape from
music cassettes, the small red cowboy embedded in a crystal, the plastic
Cinderella coach taking the royal earthworms for a ride—complete with
stockpiles of pumpkin seeds.
The Thai women—neatly arranged in their white
wedding gowns and keenly awaiting marriage—have mutated into African goddesses
on account of the dot labels. The Black Beauties blandly stare back from their
image, stripped of any meaning now that their cars, gold jewelry, and clothing
have been covered with labels. What remains is the vacuity within the
plenitude. A dance of colorful dots, before all we could see were pixels.
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