GERDA STEINER & JÖRG LENZLINGER

Too Early to Panic
Museum Tinguely Basel, 2018


Am Eingang hat der Besucher zwischen drei Türen zu wählen: „Too early to panic”, „Jetzt“ und „Too late to panic“.

Im “Jetzt” tritt man ein in das Empfangsbüro des Schönheitssalons Institut de Beauté „Wabi Sabi“.  Die Sekretärin ist mit ihren verwilderten Fingernägeln beschäftigt und erläutert die diversen Angebote des Salons zur Steigerung der Wahrnehmung der Schönheit: Der Tränensammler animiert zur Spende einer Träne, welche nach kurzer Zeit ihre einmalige kristalline Pracht unter dem Mikroskop entfaltet. Eine Schönheitsvirus-Schluckimpfung versetzt uns in eine ekstatische Stimmung welche die Wahrnehmung der Schönheit beflügelt. Im Diagnoseraum wird ein, in eine Muschel gesungenes, helles A der eigenen Stimme analysiert und die ihrem Charakter entsprechende Blume auserkoren. Der orangene Raum mit dem Vitamin C Brunnen lädt zur Pause ein. Seh-Übung und Summ-Übung massieren und stärken die Augen und die Ohren. Wer es wagt, sich unter den hängenden Meteoriten zu legen, erfährt eine Lockerung der Hirnströme. Und unter dem menschlichen Ersatzteil-Mobile fühlt man sich wieder einmal so richtig als Ganzes.

Too early to panic: Dieser Raum ist dem Unfertigen, dem Werdenden, dem Wuchernden und dem Muskelspiel des Chaos gewidmet. Er ist eine grosse vielfältige Skizze über das, was auf uns zukommen kann. Ein Tunnel aus Überlebensfolie und dürren Ästen führt in ein Gebüsch. Es lockt zum Hineinkriechen und verweilen. Darin kann man dem Treiben in der Ausstellung unbemerkt folgen, wird aber gleichzeitigt von den Passanten draussen vor dem Museum beobachtet. Das Gebüsch und die feine in der Luft hängende Vegetation geraten ins Schwanken, wenn die Fitnessmaschine benutzt wird - ein Grossteil von dem, was wir mit unseren Bewegungen auslösen nehmen wir meistens gar nicht wahr. Zusätzlich öffnen sich zur rechten und linken der Maschine symmetrisch beide Kühltruhen und das Geschrei von Kühen, Schweinen, Schafen, Hühnern – das, was eben normalerweise in so einer Kühltruhe lagert – schreit heraus.  

Der Torture-Garden schliesst uns in uns selbst ein: Wir stecken in diesem Schrank, körperlich eingebettet in die Flora der Kunstpflanzen die uns piksen, fest. Nur der Kopf schaut oben heraus und wir sind vollkommen abhängig von einem Mitmenschen, der uns wieder herauslässt. Was geben wir nicht Alles, um die Selbständigkeit zu verlieren.

Der Personal Trainer gibt nur 1 Sekunde Einblick in eine der 3 versteinerten Styropor-Kühlboxen. Vielleicht sind unsere Möglichkeit Etwas zu erhaschen nur noch sehr kurz. Und wir werden sehr schnell und präzis reagieren müssen. Oder die Schnelligkeit wird so schnell, das wir gar nicht mehr die Chance haben das Ganze zu erfassen und nur noch einen Bruchteil begreifen können.

Und wie wird es wohl mit dem Wachstum weitergehen? Der mit grossen Mengen fossiler Energie aus der Luft gewonnene Stickstoff zur Produktion des Kunstdüngers steigt stetig weiter hoch auf der Gewinnerliste. Die bunten Kunstdüngerkristalle wachsen prächtig in der trockenen Museumsluft.

Die Drahtseilkonstruktion an der Decke, an welcher die Kristallwucherungen aufgehängt sind, ist eine klare geometrische Zeichnung. Niemand bemerkt sie. Das Chaos unten hängt an der Ordnung oben.

Too late to panic: Der Durchgang durch den alten Geräteschuppen, worin die vielen Schichten von Arbeit, gekoppelt mit den Jahreszeiten, gelagert und gespeichert sind, versetzt uns sogleich in den leicht moderigen Duft der Erinnerung. Und spätestens, nachdem die Türe mit einem Knall hinter uns ins Schloss gefallen ist, sind wir da – angekommen. Jeder Tritt knarrt auf dem groben Holzboden. Der dunkle, nur durch ein paar rote Glühbirnen leicht erhellte Raum, nimmt uns gleich in seine Arme. Schielen wir um die Ecke, empfängt uns der grosse tief dunkelblaue Raum. Die Zukunft liegt im Schrumpfen. Die Samensammlungen sind der Berührungspunkt von gelebtem Leben und dem möglichen kommenden Leben. Die Erinnerung bringt uns zurück an den Anfang. Der Same ist Grosseltern und Enkelkinder zugleich.

Auflösungsprozesse, Zerfallprozesse, Aufessen, Wegtragen, Verfliessen, Schiessen, Brennen, Tanzen, Kristallisieren. Die Pilze tanzen erst, wenn wir ihnen näher kommen. Die Tropf-und Fliessbilder bringen uns in einen Rhythmus von Ordnung, Dehnen, Atmen, Verbinden, Abstossen, Vereinen – das feine Netz des Lebens. Die Objekte sind Reliquien, das was man vielleicht ausstellen würde, wenn die beiden Künstler bereits verstorben wären. Das Doppelbild mit der durchschossenen Schallplatte und dem verbrannten Brett sind ein Augenzwinkern darüber. Der Punkt, der Schuss, das Loch, der Stern, der Same, der Moment, der Knall, der Stromkontakt. Wer viel schiesst, trifft ab und zu auch mal ins Schwarze. Die Sterne sind die Löcher im dunklen Tuch der Nacht.

Am Ende der Halle thronen die Knochenkronen auf samtroten Kissen aus, harren in sich versunken und warten auf die nächste Gelegenheit, spazieren getragen zu werden. Sie hatten während dem Totentanz-Markt unzählige stolze Häupter geschmückt. Dem Schein und Sein ist dieser Raum gewidmet. Die primitive Geldkeule des 21.Jh., die goldenen Absatzschuhe mit dem Vogelnest aus Musik-Tape-Band, der im Kristall eingewachsene kleine rote Cowboy, die Cindarella-Plastikkutsche welche die königlichen Regenwürmer ausfährt – samt Vorrat an Kürbiskernen.

Die heiratsfreudigen Thai-Frauen, bereits im weissen Hochzeitskleid arrangiert, sind durch die grellen Klebpunkte zu Afrikanischen Göttinnen mutiert. Die Black Beautys schauen sinnentleert aus dem Bild, da Autos, Goldschmuck und Kleidung weggeklebt wurden. Es bleibt die Leere in der Fülle. Ein Tanz aus farbigen Punkten, bevor wir nur noch Pixel sahen.

 

 

 

Too Early to Panic
Museum Tinguely Basel, 2018


At the entrance the visitor has the choice of three doors: “Too early to panic,” Jetzt” (Now), and “Too late to panic.”

Stepping through the door marked “Jetzt”(Now), visitors enter the reception area of the beauty salon Institut de Beauté Wabi Sabi.” The secretary is preoccupied with her fingernails, which have grown out of control, as she explains what the beauty salon has on offer to increase the perception of beauty: The Tear Collector encourages visitors to donate a tear, which is then placed under the microscope. There its unique crystalline beauty becomes visible only a short while later. The Oral Beauty Virus Vaccination places visitors in an ecstatic mood and heightens their perception of beauty. In the Diagnostic Room the sound of an A, clearly sung into a conch, is analyzed and a flower assigned to the voice in keeping with its character. The orange room with its Vitamin C fountain invites visitors to take a break. In the next room, the visual exercises and the humming exercises offered help strengthen eyes and ears. Those intrepid enough to lie beneath the hanging meteorite will enjoy the experience that comes from relaxing the brain waves, while those who stand under the Mobile of Spare Human Parts will have the feeling of being fully complete again

 

Too early to panic: This room is dedicated to everything that is incomplete, that is in the process of becoming, that is in the process of proliferating as well as to the chaotic play of muscles. It is a large and varied sketch of everything that can be encountered. A tunnel made of survival foil and dry branches lures visitors into the space under a bush, where they can linger and watch the bustling activity in the exhibition space without being noticed. At the same time, however, they are themselves watched by the passers-by from outside the museum space. And whenever someone uses the fitness equipment, the bush with all the delicate vegetation hanging midair begins to sway—we are largely unaware of all the things that our movement sets in motion. Moreover, the two deep freezers placed symmetrically left and right of the fitness equipment emit the screams of cows, pigs, sheep, and chicken whenever their doors open—that is, the sound of the animals whose meat is generally stored in deep freezers.

 

The torture garden confines us within ourselves: we become stuck inside a cupboard and physically embedded in a flora of prickly, artificial flowers. All that protrudes over the top is our head, rendering us fully dependent on our fellow visitor to release us. What would we give to lose our independence.

The personal trainer only allows us a one second glimpse into one of the three fossilized polystyrene cool boxes. Perhaps we only have a very short time to see something and will need to react quickly and precisely. Or possibly the brief moment becomes so short that we no longer have the ability to grasp the entirety and can only understand a fraction of it.

 

So, how will growth continue? The nitrogen, extracted from the air with the use of large quantities of fossil fuel and required to produce artificial fertilizer, continues to climb on the list of winners. The colorful crystals growing in the artificial fertilizer flourish in the dry museum air.

The metal wire construction hanging from the ceiling and supporting the crystal excrescence describes a distinct geometric drawing. Nobody notices it. The chaos below hangs from the order above.

 

Too late to panic:

Crossing through the old tool shed, which contains and stores numerous layers of work as well as the respective seasons, the slightly musty smell of memories immediately surrounds us. And no sooner does the door latch shut behind us then we arrive—we are there. Every footstep causes the coarse wooden floor to creek. The dark room immediately embraces us, the few red lightbulbs only dimly illuminating the space. And peeking around the corner, we find ourselves welcomed by a large and very dark blue room. Shrinking is the future. The seed collections form the point of contact between life lived and potential future life. Memories draw us back to the point of departure. The seed is both grandparent and grandchild.

 

Processes of disintegration and decay, ingesting, transporting, blending, shooting, burning, dancing, crystallizing. The mushrooms only dance when we get close to them. The drip and stain pictures draw us into a rhythm of order and expansion, of breathing, connecting, repelling, and uniting—the delicate net of life. The objects are relicts, things that people would exhibit only after both artists had died. The double image with the shot-up phonographic record and the burnt wooden board is a wink of the eye on the topic. The dot, the shot, the hole, the star, the seed, the moment, the bang, the electric contact. If you shoot nonstop, you will, every so often, hit the mark. The stars are the holes in the dark cloth of the night.

 

At the far end of the hall, crowns made of bones rest enthroned on red velvet cushions, waiting for the next time they are taken for a walk. During the Dance Macabre Fair they embellished many a proud head. This room is dedicated to being and appearance. The crude 21st century money whip, the gold-colored high heel shoes with the bird’s nests made of tape from music cassettes, the small red cowboy embedded in a crystal, the plastic Cinderella coach taking the royal earthworms for a ride—complete with stockpiles of pumpkin seeds.

The Thai women—neatly arranged in their white wedding gowns and keenly awaiting marriage—have mutated into African goddesses on account of the dot labels. The Black Beauties blandly stare back from their image, stripped of any meaning now that their cars, gold jewelry, and clothing have been covered with labels. What remains is the vacuity within the plenitude. A dance of colorful dots, before all we could see were pixels.